Von Dr. Dorothee Weckerling-Wilhelm

Verbraucherschutz in Deutschland - Besonderheiten und institutionelle Verankerung

Verbraucherschutz in Europa
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Frau Dr. Weckerling-Wilhelm ist als Referatsleiterin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz für Verbraucherinformation, Lebensmittelrecht und Produktsicherheit. Im Rahmen der inter-minteriellen Zusammenarbeit ist sie als Expertin immer wieder für die IRZ tätig.

Der Verbraucherschutz in Deutschland hat eine vergleichsweise lange Geschichte. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Regelungen geschaffen, wie etwa sinnvoll, sparsam und ergiebig zu haushalten sei oder auch, welche Produkte in welcher Form gesundheitsfördernd oder besonders nahrhaft seien.

 Doch damals ging es oft um Regelungen, die aus einer wirtschaftlichen Not heraus entstanden. Heute ergibt sich der Anlass für Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers aus einer Asymmetrie zwischen Käuferin und Käufer oder Auftraggeberin und Auftraggeber und Verkäuferin und Verkäufer, Produzentin und Produzent oder Anbieterin und Anbieter.

Die einzelnen Bürgerinnen und Bürger stehen großen wirtschaftlichen Unternehmen, international operierenden Anbietern und weltweit agierenden Konzernen gegenüber, denen gegenüber sie zu schwach sind, um ihre Interessen und – soweit überhaupt vorhanden – Rechte durchzusetzen.

Diese zunehmende Asymmetrie wirtschaftlicher Beziehungen hat in den vergangenen Jahrzehnten zu einer verstärkten Gesetzgebung und zu einer Vielzahl an Maßnahmen geführt, um die Verbraucherin und den Verbraucher in ihren Rechten zu stärken und sie in die Lage zu versetzen, ihre Rechte auch gegenüber großen Wirtschaftsakteuren durchzusetzen.

A. Institutionell ist der Verbraucherschutz in Deutschland fest in den föderalen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland verankert.

I. Föderalismus: Die Bundesländer

Deutschland ist ein Bundesstaat, der sich in 16 Bundesländer gliedert. Diese Aufteilung in Länder entspricht einer alten deutschen Tradition, ist in neuerer Zeit aber auch ein Instrument der Stärkung der Demokratie, der Partizipation sowie des Pluralismus. Zugleich verhindert der Föderalismus aber auch eine unerwünschte Machtanhäufung auf Ebene des Bundes.

Die Länder sind jeweils mit eigener Staatlichkeit ausgestattet: Mit einem eigenen Parlament, einer Regierung, eigenen Ministerien und eigener Verwaltung. Auch die Rechtsprechung und Justiz sind grundsätzlich Angelegenheit der Länder: Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist grundsätzlich Sache der Länder.

Unabhängig davon, ob ein Bundesland (wie z.B. Nordrhein-Westfalen) etwa 18 Mio. gemeldete Personen und mit 711 Milliarden € (2019) Bruttoinlandsprodukt eine Wirtschaftskraft vergleichbar mit anderen bedeutenden Wirtschaftsnationen hat, oder ob es um einen Stadtstaat wie etwa die Hansestadt Bremen mit nur ca. 700 000 gemeldeten Personen geht - jedes deutsche Bundesland hat eigene Gesetze (insbesondere im Bereich der Polizei, der Schulen und der Kultur), eigene Gerichte und eigene Behörden.

II. Der Bund

Der Bund hat seinerseits die Zuständigkeit für eine lange Reihe ausschließlicher Gesetzgebungszuständigkeiten (wie etwa die Auswärtigen Angelegenheiten, die Verteidigung, die Staatsangehörigkeit, den Luft- und Eisenbahnverkehr), in deren Bereich die Länder nur tätig werden dürfen, soweit der Bund sie dazu ausdrücklich gesetzlich ermächtigt. In anderen Bereichen können die Länder Gesetze beschließen, sofern der Bund von seiner sogenannten konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit (z.B. im Bereich des bürgerlichen und des Strafrechts, des Rechts der Wirtschaft, dem Lebensmittelrecht, dem Umweltschutz) nicht Gebrauch macht. Kommt es zu Kollisionen zwischen Bundes- und Landesrecht gilt: Bundesrecht bricht Landesrecht.

Der Bund handelt primär durch die Bundesregierung unter Leitung der Bundeskanzlerin oder des Bundeskanzlers. Staatsoberhaupt ist der Bundespräsident, der die Bundesrepublik völkerrechtlich vertritt. Die Volksvertretung auf Bundesebene ist der Deutsche Bundestag, der auch die Bundesgesetze berät und beschließt. Gleichermaßen ein Bundesorgan ist der Bundesrat. Er ist – wie der Deutsche Bundestag – ein Gesetzgebungsorgan des Bundes. Der Bundesrat besteht jedoch nicht aus demokratisch gewählten Abgeordneten, sondern aus Mitgliedern der Regierungen der Länder, die – je nach ihrer Einwohnerzahl mit unterschiedlicher Stimmstärke – ebenfalls über die Gesetzgebungsvorhaben des Bundes beraten und abstimmen. Kein Bundesgesetz kommt mit anderen Worten zustande, ohne dass nicht auch die Bundesländer über den Bundesrat an der Gesetzgebungstätigkeit des Bundestags beteiligt worden wären.

III. Die Zuständigkeit für den Verbraucherschutz

Diesen föderalen Strukturen des Staatsaufbaus folgt in Deutschland auch die Zuständigkeit für den Verbraucherschutz. Präziser wäre es, hier von den Zuständigkeiten zu sprechen. Denn zum einen bestehen auf Länderebene in den einzelnen Landesregierungen Ministerien, die für den Verbraucherschutz zuständig sind. Zumeist ist diese Zuständigkeit verknüpft mit einer anderweitigen Zuständigkeit, etwa der für Wirtschaft oder für Umwelt oder auch der für Justiz. Schon hieran ist erkennbar, wie sehr das Thema des Verbraucherschutzes in zahlreiche, ganz unterschiedliche Lebens- und Regelungsbereiche hineinwirkt.

Auf Bundesebene wurde der Verbraucherschutz erstmalig im Jahr 2002 zu Beginn einer neuen Legislaturperiode ausdrücklich in die Bezeichnung eines Ministeriums aufgenommen: Das Bundeslandwirtschaftsministerium wurde mit einer eigenen Zuständigkeit für den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher ausgestattet. Hintergrund dieser Entscheidung waren ins-besondere einige damals aktuelle Lebensmittelskandale, in deren Konsequenz sich die Auf-fassung verfestigte, dass der – vor allem gesundheitliche – Schutz der Verbraucherin oder des Verbrauchers ein solch wichtiges Politikfeld ist, dass es der herausgehobenen Erwähnung auch in der Ressortzuständigkeit bedürfte.

Doch nicht nur in gesundheitlicher Hinsicht ergaben und ergeben sich zunehmend Erfordernisse eines wirksamen Verbraucherschutzes. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht wurden bald weitere Handlungsnotwendigkeiten deutlich: Die eingangs skizzierte Asymmetrie zwischen Anbieterin und Anbieter, Kundin und Kunde oder, Ab-nehmerin und Abnehmer wird auch etwa im Finanzbereich, im Bereich des Onlinehandels oder auch z.B. bei Telefon-, Reise- oder Versicherungsverträgen greifbar.

Insoweit geht es um den wirtschaftlichen Verbraucherschutz, für den das Bundesministerium der Justiz seit dem Jahr 2014 eine eigene Zuständigkeit hat. Mit den Zuständigkeiten für Justiz und Verbraucher-schutz ist dieses Ministerium nunmehr fachlich breit aufgestellt, um – gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium, welches nach wie vor für die Fragen des gesundheitlichen Verbraucherschutzes verantwortlich ist – mit zahlreichen Gesetzgebungsvorschlägen und großer politischer Aufmerksamkeit gegen bestehende oder sich abzeichnende Benachteiligungen der Konsumentinnen und Konsumenten vorzugehen.

Die Verwaltungskompetenz zur Ausführung der verbraucherschutzrechtlichen Gesetze liegt im Fall von Landes- und grundsätzlich auch bei Bundesgesetzen bei den Ländern. Es sind Landesbehörden, die ortsnah und mit Kenntnis auch der jeweiligen Region für die Kontrolle etwa im Lebensmittelbereich, im Umweltschutz oder auch in der Marktüberwachung zuständig sind.

III. Organisation des Verbraucherschutzes: Verbraucherschutzverbände

Der organisierte Verbraucherschutz hat – nicht nur in Deutschland – eine lange Geschichte. Schon Anfang des 20.Jahrhunderts waren in den USA etwa mit den „better business bureaus“ und der „consumers´ union“ starke Organisationen des Verbraucherschutzes entstanden. In Deutschland formten Sozialverbände, Frauenvereinigungen und Konsumgenossenschaften Anfang der 1950-er Jahre die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände, um damit ein Gegengewicht zu den starken Interessenverbänden der Wirtschaft zu schaffen.

Heute gibt es zahlreiche wichtige und politisch einflussreiche Verbände und Nichtregierungsorganisationen (NRO), die für die Belange der Verbraucherinnen und Verbraucher eintreten. Diese Organisationen haben z.T. besondere Aufgabenschwerpunkte, z.B. im Umwelt-/im Gesundheitsbereich oder etwa für die speziellen Bedürfnisse älterer Menschen. Der mit Abstand größte und bedeutendste Verband ist jedoch der der Verbraucherzentralen mit seinem zentralen Organ auf Bundesebene, dem vzbv (Verbraucherzentrale Bundesverband). In jedem Bundesland (vgl. schon oben A.I.) existiert eine eigene Verbraucherzentrale, die mit zahlreichen Beratungs-, Informations- und Schulungsangeboten den Konsumierenden zur Verfügung steht. Ziel ist es, auf diese Weise die Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken und den einzel-nen Bürgerinnen und Bürgern eine ebenso aufmerksame wie selbstbewusste Teilnahme am Wirtschaftsleben zu ermöglichen.

Mit dem späteren Zusammenschluss der Verbraucherzentra-len auf Bundesebene im vzbv im Jahr 2000 hat der Verbraucherschutz in Deutschland nochmals an Gewicht gewonnen. Mit diesem zentralen Organ kann sich der Verbraucherschutz auch auf politischer Ebene verstärkt Gehör verschaffen, mit eigenen Initiativen antreten und so in die Bundes- und Landespolitik hineinwirken. Organisiert ist der vzbv als ein gemeinnütziger, parteipolitisch neutraler Verein, der sich im Wesentlichen aus Mittelzuwendungen seitens des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz sowie aus Mitgliedsbeiträgen und Erstattungen finanziert. Mit ca.180 Beschäftigten in fünf unterschiedlichen Geschäftsbereichen gehört der vzbv an seinem Dienstsitz in Berlin inzwischen zu den maßgebenden nicht-staatlichen Akteuren deutscher Politikgestaltung.

B. Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union – europäischer Verbraucherschutz

Der Verbraucherschutz in Deutschland ist heute nicht zu denken ohne den Verbraucherschutz in Europa.

Die Gewährleistung eines einheitlich hohen Schutzes aller Verbraucherinnen und Verbraucher in der Union vor Risiken und Gefährdungen ihrer Sicherheit und ihrer wirtschaftlichen Interessen sowie die Verbesserung der Fähigkeit der Verbraucherinnen und Verbraucher, ihre eige-nen Interessen zu wahren, egal wo in der EU sie wohnen, reisen oder einkaufen, ist ein wesentliches Ziel der Europäischen Union. Niedergelegt ist es in Artikeln 114 und 169 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).

Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass der Binnenmarkt nicht im Interesse der Menschen wirksam und angemessen funktionieren kann, wenn nicht auch Verbraucherinnen und Verbraucher besonders geschützt sind und sie befähigt werden, als mündige Marktteilnehmende ihre Interessen wirksam einzufordern. Legislativ verfolgt die Europäische Union diese Ziele durch Richtlinien und Verordnungen, die in allen (noch) 28 Mitgliedstaaten gelten. Doch auch mit zahlreichen Projekten der Verbraucherbildung und Verbraucheraufklärung wird das Ziel eines fairen Marktes verfolgt.

Verbraucherverbände, die auf EU-Ebene tätig sind, leisten hierbei wertvolle Zu- und Mitarbeit. So machen die einzelstaatlichen und europäischen Verbraucherorganisationen entweder unmittelbar oder über die von der EU-Kommission eingesetzte Europäische Beratende Verbrauchergruppe (ECCG) ihren Einfluss auch in vielen Politikfeldern der Europäischen Union im Interesse und zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher geltend. Mit eigenen Büros in Brüssel, Straßburg und EU-weit sind sie Ansprechpartner für Verbraucherinnen und Verbraucher ebenso wie für die Politik und die jeweils involvierten Wirtschaftsverbände.